Duzen oder Siezen – Zwischen höflicher Distanz und moderner Duz-Kultur

Duzen oder Siezen – Zwischen höflicher Distanz und moderner Duz-Kultur

Berufsleben | 06.05.2021

Nie war mehr Du als heute. Immer mehr Unternehmen setzen auf den Trend einer stets populärer werdenden Duz-Kultur. Aber kann die vermeintlich neue Lockerheit bei der Ansprache von Kollegen und Kolleginnen überhaupt Bestand haben und funktioniert sie auch branchenübergreifend?

Du oder Sie – ein weites Feld

Die Deutsche Sprache hat es in sich. Denn sie unterscheidet bei der Anrede, im Gegensatz zur globalen Business-Sprache Englisch, zwischen Du und Sie. Während im Privatbereich heute oftmals ein Du leicht über die Lippen geht und dann konstant Einzug in die zwischenmenschlichen Beziehungen hält, ist es mit dem Duzen im Berufsleben etwas komplizierter.

Die wesentlichen Fragen hierbei sind: Wann kann ich meinen Kollegen ein Du anbieten? Darf ich ein Duz-Angebot auch ablehnen? Und wie reagiere ich, wenn mein Chef mich duzt? Nicht selten wird die Frage nach dem Du oder Sie ein schwieriges Unterfangen für Angestellte und Führungskräfte gleichermaßen.

Das förmliche Sie aus der Arbeitswelt verbannen, geht das?

Die Großen wie IKEA, Otto und Lidl haben es vorgemacht, alle anderen machen es mittlerweile nach: Einheitliches Duzen zwischen Kollegen und Vorgesetzten ist heute mehr denn je Usus. Wer in einem solchen Unternehmen arbeitet, kann auf Augenhöhe mitreden und ist Teil eines gleichberechtigten Teams. Denn das gelebte Du, welches früher noch als unkultiviert und übergriffig galt, unterstreicht heute ein fortschrittliches Image und steht symptomatisch für ein attraktives Arbeitsklima. Siezen scheint überholt und steht inzwischen für verkrustete Strukturen und starre Bürokratie. Aber trotzdem siezt ein Großteil in der Arbeitswelt immer noch mit Überzeugung.

Was sagt der Knigge zur Anrede?

Die Regeln nach Knigge sind immer noch am geläufigsten. So hat sich in den Köpfen manifestiert, dass

  • Männer Frauen nicht ungefragt duzen
  • der Jüngere niemals dem Älteren das Du anbietet
  • nur der Höherrangige dem Untergestellten das Du anbieten darf
  • ein einmal angebotenes Du nie wieder zurückgenommen wird

Duzen oder Siezen: Eine Frage von Respekt?

So gesehen ist es nicht ungewöhnlich, wenn Kollegen ab 40 aufwärts womöglich über ein freundschaftliches und unbedacht ausgesprochenes Du nicht amüsiert sind. Viele empfinden ein solch überraschendes Du sogar als Beleidigung ihrer Person und fühlen sich von ihrem Gegenüber unzureichend respektiert, wenn sie ohne vorherige Klärung mit einem "Du" angesprochen werden.

Was spricht für das Duzen, was für das Siezen?

Vor- und Nachteile gibt es sowohl beim Duzen als auch beim Siezen.

Was für das Duzen spricht:

  • eine wachsende Vertrautheit unter der Kollegschaft
  • einige Arbeitskollegen oder auch sogar Chefs werden manchmal zu Freunden oder engen Bekannten
  • ein Du erzeugt Menschlichkeit
  • flache Hierarchien, sofern dies der Unternehmenskultur entspricht
  • offeneres Miteinander
  • weniger Förmlichkeit bricht starre Barrieren
  • unkomplizierte Kommunikation
  • neue Mitarbeiter fühlen sich weniger fremd
  • Auflösen von Hierarchien
  • mehr Transparenz durch Einheitlichkeit und Gleichbehandlung

Was für das Siezen spricht:

  • Distanz kann bei Verhandlungen, Besprechungen und beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten zu konstruktiven Lösungen beitragen
  • Uneinigkeiten und Differenzen werden weniger emotional ausgetragen
  • Mitarbeitergespräche fallen vielen Führungskräften leichter
  • ein Sie erzeugt professionelle Distanz und sorgt für mehr Sachlichkeit
  • weniger Konfliktpotential
  • Siezen steht für Respekt voreinander
  • Vermischen von Privatem und Beruflichem wird eher vermieden
  • Hierarchien können Struktur schaffen
  • Hemmschwellen werden nicht übertreten

In welchen Berufen wird eher geduzt und wo wird das Sie noch präferiert?

Moderne Unternehmen bevorzugen flache oder auch gar keine Hierarchien und verzichten deshalb bewusst auf eine Siez-Kultur zwischen Mitarbeitern und Kollegen in Führungspositionen. Ein gutes Zusammengehörigkeitsgefühl, ein vertrautes Miteinander und gegenseitige Wertschätzung sollen so gelebt werden.

In der IT-Branche, in Medienagenturen und in online-Unternehmen etwa ist ein lockeres Du mittlerweile üblich. CEOs und Redakteure lassen sich häufig von ihren Mitarbeitern duzen, weil sie branchenspezifisch viel in Englisch kommunizieren und das you bequem mit Du gleichsetzen. Auch in der Gastronomie wird meistens das formlose Du bevorzugt. Das Stressaufkommen zu Stoßzeiten ist dort manchmal so hoch, dass keine Zeit für umständliche Förmlichkeiten bleibt.

Im Finanzwesen, in der Immobilienbranche und in der Baubranche oder auch in der Verwaltung wird hingegen weiterhin auf altherkömmliche Gepflogenheiten bei der Kommunikation gesetzt. Hier wird auf das konservative Siezen zwischen Führungskraft und Angestellten nach wie vor viel Wert gelegt.

Anrede am Arbeitsplatz – wen spreche ich wie an?

Sie sind neu im Unternehmen und wissen nicht, wie Sie wen ansprechen sollen? Keine Sorge. Es ist immer empfehlenswert, sich zunächst einmal an die Knigge-Regeln zu halten. Falsch machen können Sie damit nichts. Im schlimmsten Fall werden Sie als spießig eingeordnet, in jedem Fall aber als besonders höflich. Eine Firma, die auf eine zeitgemäße Du-Kultur setzt, wird das all ihren neuen Mitarbeitern früh genug mitteilen. Bedenken Sie: Ältere Kollegen bevorzugen in der Regel ein distanziertes und respektvolles Sie bei der Anrede.

Die psychologische Wirkung von Duzen und Siezen

Kann das Du tatsächlich das lang dominierende Sie ablösen? Statistiken geben ein gemischtes Bild ab. In der Gruppe der 25- bis 35jährigen wird zum Großteil das Du am Arbeitsplatz bevorzugt. Trotzdem ist und bleibt das Sie als Zeichen für Respekt vor Alter und Position immer noch sehr stark ausgeprägt. Glaubt man den Statistiken weiter, ist die Mehrheit der Deutschen gegen eine Abschaffung des förmlichen Sie.

Das Wir-Gefühl stärken

Erfolg geht einfacher in einem vertrauten Umfeld, in dem sich jeder zugehörig und akzeptiert fühlt. Das Du am Arbeitsplatz wirkt einfach herzlicher und impliziert Verbundenheit. Du ist aber nicht gleich Du. In einer Großküche zum Beispiel, wo Köche und Küchenhelfer sich untereinander anbrüllen, schafft auch ein Du kein angenehmeres Arbeitsklima. Manchmal macht eben doch der Ton die Musik.

Tun Sie das nicht!

Sie wissen nicht, welche Anrede Sie verwenden sollen? Hier sind einige hilfreiche Regeln:

1. Ein Sie geht immer

Ein Du kann hingegen öfter überrumpelnd, unfreundlich oder gar beleidigend wirken. Also lieber vorsichtig sein beim Duzen.

2. Auf das Bauchgefühl hören

Manchmal können auch Sympathie oder Antipathie entscheidend für ein Du sein.

  1. Unsicher? Im Notfall greifen immer die Knigge-Regeln. Also: Ältere, Frauen und Ranghöhere bieten zuerst das Du an, bevor es jemand anderes tut.
  2. Sind mehrere Vorgesetzte anwesend, aber mit nur einem besteht davon ein Du-Verhältnis, dann siezen Sie konsequent alle.
  3. Bei hitzigen Debatten und Diskussionen, und erst recht bei Auseinandersetzungen, möglichst immer beim Sie bleiben und nicht versehentlich zum Du wechseln. Schwierig, aber machbar. Und im Nachhinein gibt es nichts zu bereuen.
  4. Auf lockeren und feuchtfröhlichen Feiern mit Kollegen und Vorgesetzten immer im Hinterkopf behalten, dass ein vorschnell ausgesprochenes Du am nächsten Tag zu peinlichen Szenen führen kann.
  5. Bitte nicht vom Du zurücktreten. Wurde sich auf das Duzen geeinigt, sollte es auch dabei bleiben. Wer heute duzt und morgen doch lieber wieder siezen möchte, macht sich unbeliebt und wirkt unglaubwürdig.

Im neuen Job: Unternehmenskultur genau beobachten!

Einige Unternehmen pflegen bewusst eine Duz-Kultur. Hier wäre es unangebracht, aus Höflichkeit zu siezen. Das Du gehört quasi zum guten Ton. Es steht nicht für Sympathie oder Freundschaft, sondern ist Teil der eigenen Unternehmenskultur. Wer neu anfängt, sollte sich dieser Gepflogenheit anpassen und in die gewünschte Duz-Kultur integrieren.

Besteht jedoch keine allgemeine Duz-Regelung im Unternehmen, dann sollten neue Kollegen möglichst abwarten, bis ihnen das Du angeboten wird.

Ungefragt geduzt, und nun?

Jedermann hat das Recht, selbst zu entscheiden, ob er sich im Arbeitsumfeld duzen oder siezen möchte. Wer sich ungern duzen möchte mit seinen Kollegen und trotzdem ungefragt geduzt wird, kann das sehr diplomatisch umgehen. Entweder Sie siezen gleich direkt alle Kollegen konsequent und suggerieren damit, dass Sie beim Sie bleiben möchten. Oder im Falle, dass Sie bereits geduzt werden, antworten Sie ehrlich und freundlich, dass Sie lieber beim Sie bleiben wollen, weil Sie das generell am Arbeitsplatz so handhaben. Besonders humorvoll kommt es, wenn Sie sagen: Ich bin schon alt, ich sieze schon immer.

Was aber, wenn der Vorgesetzte duzt?

Auch in dem Fall ist es natürlich erlaubt, das Du abzulehnen. Gehen Sie dabei taktisch klug vor und erklären Sie, dass Sie es lieber beim Sie belassen wollen, auch aus Rücksicht gegenüber anderen Kollegen, die das vielleicht missverstehen und sich benachteiligt fühlen könnten. Sie können noch hinzufügen, dass Sie mit einem Sie am Arbeitsplatz bisher gute Erfahrungen gemacht haben. Trotz aller Freundlichkeit kann es jedoch sein, dass Ihr Chef von Ihrer Absage zumindest irritiert ist.

Darf ich als Neuer duzen, wenn andere das auch machen?

Die Art der Anrede ist immer branchenspezifisch. In einem Handwerksbetrieb ist es fast üblich, dass sich alle Kollegen, Gesellen wie Meister, duzen. Auf einer Baustelle oder in der Kfz-Werkstatt geht es nicht zimperlich zu, der Ton ist oftmals rau und energisch, nicht selten emotional. Da wirkt ein amtliches Sie eher fehl am Platze. Der Chef hingegen, der im Büro sitzt, will vielleicht trotzdem gesiezt werden. Also Achtung!

In größeren oder mittelständischen Unternehmen mit mehreren Team-Einheiten ist es mittlerweile nicht unüblich, dass sich Teamleiter und Mitarbeiter duzen. Hier ist erst das Sie angebracht, wenn die Ranghöchsten in Erscheinung treten. Auf Konferenzen und Meetings etwa wird noch genau darauf geachtet, welche Führungskraft gesiezt werden muss. Unter den Führungskräften einzelner Abteilungen wird ebenso noch gesiezt.

Übrigens: Ein Drittel der Angestellten duzt seine Kollegen und findet das okay. Ganz anders sieht es aus beim Vorgesetzten. Hier ist die Hemmschwelle des Duzens immer noch weitaus größer.

So geht es richtig

Der oder die Neue im Betrieb sollte zunächst alle Kollegen siezen und mit deren Nachnamen ansprechen. Eventuelle Titel müssen bei der Anrede berücksichtigt werden, sofern diese bekannt sind. Im Arbeitsleben sind zudem nicht Alter und Geschlecht relevant, wenn es um die Du-Frage geht, sondern die Position im Betrieb sowie die Dauer der Betriebszugehörigkeit.


Waren wir schon beim Du, Herr Kollege?

Bitte überrumpeln Sie niemals jemanden mit einem Duz-Angebot. Nicht jedermann mag es so persönlich und für so manch einen Kollegen fühlt sich das altbekannte Sie in der Arbeit einfach angenehmer und sicherer an. Menschen sind unterschiedlich. Bleiben Sie immer taktvoll und tolerant. So bleiben Sie der nette Kollege, der auch in heiklen Situationen korrekt bleibt.

Du oder Sie: Kleines Wort, große Wirkung

In einer Firma, wo jeder jeden duzt, steht ein Du für Wertschätzung und Zugehörigkeit. So lange für alle dieselben Duz-Regeln gelten, gibt es nichts falsch zu machen. Anders ist es, wenn Kollegen oder Vorgesetzte den einen freundschaftlich duzen und den anderen reserviert siezen. Das kann zu vielen kommunikativen und zwischenmenschlichen Missverständnissen führen.

Vor allem zwischen Alt und Jung gehen die Meinungen zum Thema Duzen oder Siezen immer noch weit auseinander. Die einen wünschen sich weiterhin höfliche Distanz mit einem Sie, die anderen halten ein vertrautes Miteinander mit einem Du für bedeutender.

Dr. Hans-Peter Luippold

Autor: Dr. Hans-Peter Luippold

Dr. Hans-Peter Luippold studierte Betriebswirtschaft in Freiburg und Köln und sammelte als Führungskraft bei Daimler, Volkswagen, Lufthansa, Wella und Vorwerk Erfahrungen in allen wesentlichen Unternehmensbereichen. Seit April 2000 ist er als Unternehmens- und Personalberater in Frankfurt am Main tätig. Er hält regelmäßig Vorträge und lehrt zu den Themen Erfolg und Karriere. Vernetzen Sie sich mit ihm über Xing und LinkedIn.