Ambivertiert: Was versteht man unter dieser Erfolgseigenschaft?

Ambivertiert: Was versteht man unter dieser Erfolgseigenschaft?

Berufsleben | 28.01.2024

Ambivertiert bedeutet ein Schwanken zwischen den beiden Extremen der Intro- und Extraversion. Während früher Menschen als eindeutig eher introvertiert oder mehr extrovertiert eingeordnet wurden, geht man heute davon aus, dass ein Schwanken zwischen diesen Extremen gut möglich ist und sogar Vorteile bringt. Dieses Schwanken ist die sogenannte Ambiversion, also eine Ambivalenz (= das gleichzeitige oder schnell wechselnde Auftreten gegensätzlicher Gefühle), die ihrerseits mehr oder weniger stark auftreten kann. Erfahren Sie, warum dieser Aspekt heutzutage so stark im Berufsleben beachtet wird.

Das Wichtigste zum Thema "ambivertiert" auf einen Blick

  • Ambivertierte Menschen können ihr Verhalten flexibel an Situationen anpassen. Sie pendeln zwischen introvertierten und extrovertierten Verhaltensweisen.
  • Die meisten Menschen sind ambivertiert. Nur etwa ein Drittel ist eindeutig intro- oder extravertiert.
  • Ambivertierte Menschen sind oft besonders erfolgreich im Beruf, weil sie durchsetzungsstark aber auch teamfähig agieren können.
  • Auch privat profitieren Ambivertierte von ihrer Flexibilität und Beliebtheit. Sie können Kontakte knüpfen sowie sich zurückziehen.
  • Eine ausbalancierte, ambivertierte Persönlichkeit ist psychologisch sehr gesund. Extreme Intro- oder Extraversion birgt Risiken.
  • Man kann seine Ambiversion durch Analyse der eigenen Verhaltensmuster und gezieltes Training ausbauen.
  • Es lohnt sich, die persönliche Ambiversion zu stärken, um die Vorteile für Beruf und Privatleben zu nutzen.

Definition: Was bedeutet "ambivertiert"?

Der Begriff "ambivertiert" wurde ursprünglich von dem Psychiater Eugen Bleuler Anfang des 20. Jahrhunderts geprägt. Er beobachtete, dass sich viele seiner Patienten nicht eindeutig in introvertiert oder extravertiert kategorisieren ließen. Stattdessen zeigten sie ein flexibles Verhalten zwischen diesen Polen.

Später griff Carl Gustav Jung dieses Konzept auf und definierte die Ambiversion als normalen Persönlichkeitstypus - im Gegensatz zur introvertiert oder extravertiert. Lange Zeit fand dieses Modell jedoch kaum Beachtung in der psychologischen Forschung.

Erst in den letzten Jahrzehnten rückte die Ambiversion wieder stärker in den Fokus. Studien zeigen, dass die flexible Persönlichkeit der Ambivertierten große Stärken birgt. Sie ist möglicherweise der evolutions-psychologisch erfolgreichste Typus überhaupt.

Wann sind Sie "ambivertiert"?

Wenn Sie an sich selbst feststellen, dass Sie unter Freunden und Bekannten durchaus sehr offen und selbstbewusst auftreten können, doch unter Fremden und auch in einem (relativ neuen) beruflichen Umfeld plötzlich schüchtern wirken, dann darf man Sie zu den ambivertierten Personen zählen.

Vielleicht sind Sie bei Meetings eher still, doch im privaten Bereich können Sie sehr gut aus sich herausgehen. Auch im Kollegenkreis tauen Sie allmählich auf, wenn Sie Vertrauen in Ihr Umfeld gefasst haben - wahrscheinlich deshalb, weil man inzwischen auch Ihnen und Ihrer Leistung vertraut. Doch passt das noch zu den alten Begriffen “introvertiert” oder “extrovertiert”, aber nichts dazwischen? Wahrscheinlich nicht! Wir wollen uns diese Begrifflichkeiten daher etwas näher anschauen.

Introversion oder Extraversion: Ist das ein Mythos?

Wenn diese Begriffe zu den Mythen zu zählen sind, dann dürfte es schwer werden, sie zu überwinden, denn sie existieren schon sehr lange. Die Extraversion beschrieb erstmals als explizite Persönlichkeitseigenschaft der Psychoanalytiker Carl Jung im Jahr 1921, also vor nunmehr fast 100 Jahren. Er fand auch den Gegenpart in der Introversion, formulierte die entsprechenden Persönlichkeitseigenschaften aus und fand Anhänger, die diese These fortschrieben.

So erweiterte der Psychologe Hans-Jürgen Eysenck das Modell um zahlreiche Abstufungen zwischen den beiden Extremen. Er stellte für extrovertierte Menschen fest, dass sie offenherzig, impulsiv, gesellig, wagemutig und ausdrucksstark seien, was ihre Umgebung geradezu magisch anziehe. Auch könnten sie sehr schnell Kontakte knüpfen, während die Introvertierten scheu und schüchtern, misstrauisch und in sich gekehrt seien, weshalb sie als wenig sympathisch oder charismatisch wahrgenommen würden. Beide Charaktere sollen nach der althergebrachten Theorie zu bestimmten Persönlichkeitsstörungen tendieren können: die Introvertierten zu einer sozialen Phobie, die Extrovertierten zu einem extremen Narzissmus.

Es ist tatsächlich so, dass man Menschen diesen Persönlichkeitstypen zuordnen kann. Gerade Führungskräfte sind oft extrovertiert, allerdings muss das von ihrer Umgebung nicht unbedingt als durchweg positiv empfunden werden. Es lässt sich daher nicht pauschal feststellen, ob eher der extrovertierte oder der introvertierte Persönlichkeitstyp erfolgreicher ist.

Die Fragestellung ist ohnehin wahrscheinlich überflüssig, weil in Wahrheit kein Mensch eindeutig introvertiert oder extrovertiert ist. Das stellte auch Eysenck schon fest. Während er aber noch davon ausging, dass jeder Mensch auf einer Skala zwischen extrem extrovertiert und extrem introvertiert einen bestimmten Wert repräsentiert, vermutet die moderne Forschung vielmehr, dass die meisten Menschen zwischen den beiden Varianten permanent pendeln. Daher scheint es nicht um den Grad von Introvertiertheit oder Extrovertiertheit zu gehen, sondern um die Fähigkeit, zwischen diesen beiden Zuständen mehr oder weniger stark zu pendeln. Diese Eigenschaft ist die Ambiversion.

Was sind Anzeichen für Introversion oder Extraversion?

Um Ihren Ambiversionsgrad besser einschätzen zu können, sollten Sie auch die Eigenschaften von Introvertierten sowie Extrovertierten kennen. Typische Charaktermerkmale im Überblick:

Persönlichkeitsmerkmale für Introversion:

  • Nachdenklichkeit  
  • Zurückhaltung gegenüber Fremden
  • Tendenz zur sozialen Überforderung 
  • Liebe für detailliertes Arbeiten
  • Langsames „Auftauen“ in Gruppen
  • Vorliebe für kleine Gesprächsrunden  
  • Beobachterrolle in großen Runden

Merkmale von Extraversion:

  • Geselligkeit, Kontaktfreude  
  • Spontanität, Impulsivität
  • Risikobereitschaft
  • Dominantes Auftreten 
  • Schnelles Knüpfen neuer Kontakte  
  • Große Gesprächig- und Überzeugungskraft  
  • Führungsstärke

Je nach Situation und Stimmung können bei Ihnen persönlich unterschiedliche dieser Eigenschaften zum Vorschein kommen. Achten Sie einmal gezielt darauf!

Warum sind Ambivertierte erfolgversprechend?

Eine hohe Ambiversion, also die Fähigkeit zur Anpassung des Verhaltens, bringt viele Vorteile mit sich:

Beruflicher Erfolg

Besonders im Arbeitsumfeld zeigen sich die Vorteile einer ambivertierten Persönlichkeit. Ambivertierte Menschen können je nach Situation flexibel auftreten - mal dominant und durchsetzungsstark, mal zurückhaltend und vorsichtig.

Daher eignen sie sich hervorragend für Jobs mit viel Kundenkontakt, in denen eine Balance zwischen kommunikativem Talent und analytischem Arbeiten gefragt ist. Beispiele sind Beratungs-, Vertriebs- oder Managementpositionen.

Aber auch in der Teamarbeit spielen Ambivertierte ihre Stärken aus: Sie vermitteln souverän zwischen verschiedenen Charakteren und verhindern oder lösen Konflikte. Somit leisten sie einen wichtigen Beitrag zum Unternehmenserfolg.

Daher eigenen sie sich hervorragend für Team- wie Einzelarbeit. Es verwundert nicht, dass viele Führungskräfte ambivertierte Persönlichkeiten besitzen!

Beliebtheit und Freundschaften

Auf zwischenmenschlicher Ebene schätzen andere ambivertierte Menschen sehr. Einerseits zeigen Ambivertierte Mitgefühl, können zuhören und emotional unterstützen. Andererseits organisieren sie gerne gemeinsame Aktivitäten oder bringen ihr Umfeld mit kreativen Ideen zum Lachen.

Insgesamt wirken Ambivertierte sozial kompetent, tolerant sowie mental ausgeglichen und zufrieden. Sie finden in jeder Situation leicht Anschluss und knüpfen mühelos Freundschaften. Dabei vermeiden sie aber auch Konfliktsituationen auf sehr souveräne Weise - eine Fähigkeit, die sie sympathisch macht.

Innerer Frieden

Menschen mit einem hohen Ambiversionsgrad fühlen sich sowohl in Gesellschaft als auch in Phasen des Alleinseins sehr wohl. Sie schätzen Abwechslung und können Energie aus sozialen Kontakten wie aus Zeit für sich selbst schöpfen. Dadurch sind Ambivertierte meist sehr zufrieden, ruhig und in sich gekehrt. Sie wirken ausgeglichen und mit sich im Reinen.

Gerade in stressigen Lebensphasen oder Krisenzeiten hilft ihnen diese innere Ausgeglichenheit sehr. Sie strahlen Ruhe und Gelassenheit aus, ohne deswegen Teilnahmslosigkeit zu signalisieren.

Wie lässt sich Ambiversion messen?

Um den Grad der Ambiversion bei einer Person zu bestimmen, kommen Fragebögen zum Einsatz. Diese erfassen verschiedene Persönlichkeitsfacetten im Intro-Extra-Kontinuum.

Bekannte Messinstrumente sind etwa der Eysenck Personality Questionnaire (EPQ-R), die NEO-Persönlichkeitsinventare (NEO-PI-R) oder der Big Five Inventory (BFI). Anhand der ermittelten Skalenwerte lässt sich dann das Maß an ausgeglichener Ambiversion vs. starker Intro/Extra-Tendenz bewerten.

Natürlich haben solche Testverfahren immer auch gewisse Grenzen. Es empfiehlt sich, die statistischen Ergebnisse zusätzlich durch Fremd- und Selbstbeobachtung zu ergänzen.

Wie hoch ist Ihr Ambiversionsgrad?

Anhand eines kurzen Selbsttests können Sie auch selbst eine grobe Einschätzung Ihres Ambiversionsgrads vornehmen:

  • Verhalten Sie sich unter Freunden anders als unter Fremden?
  • Wirken Sie in Meetings reservierter und tauen erst langsam auf?
  • Können Sie Einzel- und Teamarbeit gleichermaßen gut leisten?
  • Fällt es Ihnen leicht, Kontakte zu knüpfen und Gruppen anzuführen?

Wenn Sie diese Fragen mehrheitlich mit "ja" beantworten, sind Sie höchstwahrscheinlich eine ambivertierte Persönlichkeit. Sie wechseln mühelos zwischen introvertierten sowie extrovertierten Verhaltensweisen.

Eindeutig intro- oder extrovertierte Naturen würden hier eher mit "nein" antworten, da sie sich konstanter verhalten.

So fördern Sie Ihre Ambiversion

Selbst wenn Ambiversion teilweise angeboren ist, können Sie Ihre Anpassungsfähigkeit trainieren:

  • Analysieren Sie Ihre Verhaltensmuster in unterschiedlichen Situationen.
  • Setzen Sie sich kleinen Herausforderungen aus, die Ihren Komfortbereich erweitern. 
  • Holen Sie von Vertrauten Feedback zu Ihrem Auftreten ein.
  • Verstärken Sie neu erlernte Verhaltensweisen durch Belohnungen.

Durch kontinuierliches Training können Sie Ihre angeborene Ambivertiertheit  ausbauen und Ihre sozialen Kompetenzen enorm verbessern. Die Mühe lohnt sich - für ein erfülltes Privatleben und beruflichen Erfolg!

DER VORTEIL EINER HOHEN AMBIVERSION

Menschen mit hoher Ambiversion, also der Fähigkeit zwischen introvertierten und extrovertierten Verhaltenszügen zu pendeln, sind im Berufsleben oft sehr erfolgreich. Sie passen ihr Auftreten und ihren Umgang optimal an die jeweilige Situation an.

Beispielsweise kann eine ambivertierte Person im Meeting ruhig und konzentriert zuhören, ohne den Ablauf zu stören. Später im Kundenkontakt tritt sie dann kommunikativ und gewinnend auf. Sie nutzt also die Vorteile von Intro- und Extraversion je nach Anforderung.

Im Gegensatz zu Menschen mit stark ausgeprägter Introversion oder Extraversion ist das Verhalten von Ambivertierten besser an die jeweilige Situation angepasst.

Eine stark introvertierte Person würde sich beispielsweise in Meetings komplett zurückziehen und kaum etwas beitragen. Eine stark extrovertierte Person könnte in der Kundenberatung wiederum zu aufdringlich und euphorisch wirken, was eher abschreckt.

Die Ambivertierte Person verhält sich ausgewogener: Sie ist im Meeting zwar eher ruhig und zurückhaltend, bleibt aber aufmerksam und beteiligt sich angemessen. Bei der Kundenberatung ist sie dann zugewandt und kommt aus sich heraus, wirkt dabei aber nicht überschwänglich.

Ihr situativ angepasstes Verhalten zwischen Intro- und Extraversion ist also meist vorteilhafter als starre Verhaltensmuster an den jeweiligen Polen. Es wirkt ausgewogen und angemessen.

Diese soziale Flexibilität und situative Anpassung ist eine wertvolle Soft Skill und soziale Kompetenz, die Türen öffnet. Ambivertierte haben daher oft mehr Erfolg - nicht nur im Berufsleben, sondern auch privat. Sie können sowohl allein als auch in der Gruppe zufrieden sein.

Wie verbreitet ist Ambiversion in der Bevölkerung?

Schätzungen zufolge machen ambivertierte Menschen mit flexiblem Intro-Extra-Verhalten den größten Anteil der Bevölkerung aus. Während etwa ein Drittel der Menschen recht eindeutig intro- oder extravertiert ist, lassen sich die restlichen 50-70% als ambivertiert kategorisieren.

Die Ambiversion ist also der Normalfall - die meisten Menschen zeigen Merkmale beider Pole und passen sich entsprechend der Situation an. Dennoch wurde dies lange Zeit in der Persönlichkeitsforschung vernachlässigt und ein simpler Dualismus unterstellt.

Fazit: Ambivertiert - Die optimale Balance für beruflichen Erfolg

Ambivertierte Menschen mit der Fähigkeit zum flexiblen Wechsel zwischen introvertierten und extrovertierten Verhaltensweisen sind klar im Vorteil - beruflich wie privat.

Ihre ausbalancierte Persönlichkeit ermöglicht es ihnen, sich optimal an jeweilige Situationen anzupassen. Im Job punkten sie durch Durchsetzungsvermögen und Teamfähigkeit gleichermaßen. In der Freizeit durch Beliebtheit und Zufriedenheit.

Kurz gesagt: Ambivertierte haben die besten Erfolgsaussichten in allen Lebensbereichen. Zugleich ist ihre Persönlichkeit psychologisch stabiler und glücklicher als stark intro- oder extrovertierte Typen.

Es lohnt sich daher für jeden, die eigene Ambiversion durch Selbstreflexion und gezieltes Training auszubauen - für noch mehr Berufs- und Beziehungserfolg.

Quellen:  Adam Grant (2013). Rethinking the Extraverted Sales Ideal: The Ambivert Advantage. Psychological Science 24(6), 1024–1030.  | Furnham, Adrian & Strbac, Ljerka (2002). Music is as distracting as noise: the differential distraction of background music and noise on the cognitive test performance of introverts and extraverts. Ergonomics, 45(3), 203-217.  | Lehmann, Ingrid A.K. (2002). Ambiversion als Chance für mehr Effektivität im Vertrieb. Versicherungswirtschaft, 57(21), 1652-1656.

Dr. Hans-Peter Luippold

Autor: Dr. Hans-Peter Luippold

Dr. Hans-Peter Luippold studierte Betriebswirtschaft in Freiburg und Köln und sammelte als Führungskraft bei Daimler, Volkswagen, Lufthansa, Wella und Vorwerk Erfahrungen in allen wesentlichen Unternehmensbereichen. Seit April 2000 ist er als Unternehmens- und Personalberater in Frankfurt am Main tätig. Er hält regelmäßig Vorträge und lehrt zu den Themen Erfolg und Karriere. Vernetzen Sie sich mit ihm über Xing und LinkedIn.