Videointerview: Bewerbungsgespräch auf Abstand

Videointerview: Bewerbungsgespräch auf Abstand

Professionell bewerben | 22.09.2022

Social Distancing und Digitalisierung – unter diesen zwei Aspekten hat das Videointerview als Bestandteil von Bewerbungsprozessen eine hohe Priorität bei vielen Unternehmen und Personaldienstleistern eingenommen. Der Eroberungsfeldzug des digitalen Interviews hat jetzt so richtig Fahrt aufgenommen.

Bewerbungsgespräche im Wandel der Zeit

Mit Ausbruch von Corona und Änderung der sozialen Verhaltensregeln hat sich in Bewerbungsprozessen einiges geändert. Aus der Notwendigkeit heraus wurde das persönliche Vorstellungsgespräch durch das digitale Interview abgelöst. Bei Arbeitgebern gewinnen Videointerviews zunehmend an Beliebtheit. Für viele Arbeitnehmer sind Videointerviews noch ein Novum und entsprechend groß ist die Angst davor. Aber was genau ist unter einem Videointerview eigentlich zu verstehen und wie gelingt es, sich optimal vor der Kamera zu verkaufen und überzeugend am Bildschirm rüberzukommen?

Videointerview – Was ist das überhaupt?

Das klassische Bewerbergespräch wird nicht mehr persönlich face to face geführt, sondern Bewerber sitzen vorm Laptop, dem PC oder dem Smartphone und kommunizieren über eine Software mit ihrem Ansprechpartner.

Im Prinzip ersetzt das Videointerview das klassische Vorstellungsgespräch. Personaler und Bewerbungskandidat treffen sich online zu einer vereinbarten Zeit und begegnen sich am Bildschirm. Gerade in Pandemiezeiten sind viele Unternehmen bemüht, die Sicherheit aller zu gewährleisten und gleichzeitig eine adäquate Personalauswahl zu treffen. Das Videointerview bietet sich einfach ideal dafür an.

Das Videointerview als Teil des Bewerbungsprozesses

Manchmal werden Videointerviews im Vorab vor einem persönlichen Kennenlernen geführt. Sie sind gerade bei etablierten Unternehmen oder großen Konzernen zur gängigen Methode geworden, um die in Frage kommenden Kandidaten auszuwählen. Das Videointerview erfüllt dann hauptsächlich den Zweck, eine Vorauswahl der Bewerber zu treffen, die später in die engere Auswahl kommen.

Für Stellen im IT-Bereich etwa ist es schon länger Usus, auch Bewerber aus dem Ausland zu rekrutieren. Videointerviews sind hier an der Tagesordnung.

In anderen Branchen entscheidet sich bereits im Videointerview, ob der Bewerber die Stelle bekommt. Dann wird lediglich nochmal zur Vertragsunterzeichnung persönlich eingeladen oder einfach, weil der Arbeitgeber sich vom Wunschkandidaten vor der geplanten Einstellung ein eigenes Bild machen will.

Vor- und Nachteile des Videointerviews

Videointerviews ersparen Bewerbern einen nicht selten langen und kostspieligen Anreiseweg. Sie gewähren außerdem mehr Spielraum, um passende Antworten bereits im Vorab zu überdenken. Auch spielt der Faktor der zeitlichen Flexibilität eine Rolle. Videointerviews können mühelos von daheim geführt werden, praktisch zu jeder beliebigen Tageszeit.

Beim Telefoninterview müssen Bewerber vor allem mit ihrer Stimme und Tonlage überzeugen, beim Videointerview können sie aber auch zusätzlich mit ihrer Erscheinung und ihrem Auftreten punkten. Stau, Verzögerungen im öffentlichen Verkehr oder sonstige äußeren Einflüsse können den Bewerber auf seinem Weg zum Vorstellungsgespräch stressen und dessen Konzentriertheit und Gelassenheit beeinflussen sowie seine bereits bestehende Aufregung vielleicht noch steigern. In einem Videointerview passiert das nicht. Denn die Vorbereitungszeit ist meistens lang genug und sofern die technischen Voraussetzungen stimmen, kann hier kaum etwas schief gehen.

Das Videointerview

  • erspart Zeit
  • kann Nervosität reduzieren
  • eröffnet ungeahnte Möglichkeiten

Natürlich bringt das Videointerview auch einige wenige Nachteile mit sich. Ein direkter Blickkontakt zum Gesprächspartner ist nicht möglich. Auch zwischenmenschliche Gesten wie ein Händedruck, die Erwiderung eines Lächelns, sympathische Gesten der Aufmerksamkeit und der Anerkennung, das Angebot eines Kaffees oder Wassers, mitunter auch ein Rundgang durch den Betrieb, können in Videointerviews nicht umgesetzt werden. So verliert das Videointerview die persönliche Note eines "Live"-Gesprächs, die so manch einem Bewerber fehlt. Das „Sich riechen können“ ist ein Faktor, auf den viele gern bauen und von dem nicht selten auch Entscheidungen abhängig gemacht werden.

Zum Videointerview eingeladen? So gelingt es 

Wer ein paar grundlegende Basics beachtet und sich ein bisschen mit den technischen Modalitäten vertraut macht, kann auch in einem Videointerview richtig gut überzeugen und sich seinen Traumjob holen.

Die Technik macht’s

Welche Software genutzt wird, entscheidet meistens der Arbeitgeber, der die Kandidaten über eine Mail mit Link einlädt. Zu den geläufigsten zählen Skype, Microsoft Teams, Zoom oder Facetime. Bewerber sollten vor dem Interview mit der Software üben, wenn sie diese noch nicht kennen, um später bei beim Videointerview professionell und sicher auftreten zu können.

Worauf Sie ebenfalls achten sollten: 

  • eine stabile und konstante Internetverbindung
  • keine Geräusche im Hintergrund (keine Kinder, keine Mitbewohner, keine Haustiere, die im Hintergrund störend auftreten)
  • Webcam und Mikrofon auf Funktionalität testen
  • das Gerät aufladen (ein voller Akku oder Stromanschluss ist Pflicht)

Für einen optimalen Ton eignet sich ein Headset. Wer das nicht zur Verfügung hat, muss vorher mehrere Probeläufe durchführen und so den Ton seines Gerätes testen. Es lohnt sich, mit Freunden oder Familienangehörigen die digitale Kommunikation zu üben. So können Bewerber auch gezielt das langsame und deutliche Sprechen einstudieren, um Stottern oder zu viele „Ähs“ im Gespräch zu vermeiden.

Eindruck machen mit einwandfreier Vorbereitung

Ein Videointerview ist nichts anderes als ein Vorstellungsgespräch. Also sollten Bewerber sich auch dementsprechend präsentieren. Achten Sie auf folgendes:

  • Trainieren Sie eine kurze und knackige sowie aussagekräftige Selbstpräsentation. Sie sollten frei sprechen und dem Personaler relevante Informationen über sich und Ihr Kompetenzprofil liefern können.
  • Bereiten Sie auf übliche Fragen im Bewerbungsgespräch passende Antworten vor, die Ihre Authentizität unterstreichen. So geraten Sie am wenigstens aus dem Gesprächsfluss und stammeln nicht unnötigerweise im Gespräch herum.
  • Kennen Sie Ihre besonderen Stärken und überlegen Sie sich auch, welche Schwächen Sie benennen können. Diese Fragen kommen in den meistens Interviews vor und Sie sollten darauf unbedingt antworten können.
  • Informieren Sie sich gründlich über die Stelle und über das Unternehmen, in dem Sie arbeiten wollen.
  • Halten Sie sich auch immer zwei bis drei Fragen offen, die Sie selbst dem Personaler stellen.

Vergessen Sie nicht: Ein Videointerview ist kein Verhör. Treten Sie mit Ihrem Gesprächspartnern in einen Dialog auf Augenhöhe.

Sich selbst ins rechte Licht rücken

Bei einem Videointerview spielen angenehmes Licht und ein störungsfreier Hintergrund eine entscheidende Rolle. Bewerber sollten den Hintergrund daher gut auswählen. Es empfiehlt sich, persönliche Dinge aus dem Sichtfeld zu entfernen und ein seriöses, dezentes Ambiente zu schaffen. Auch für eine günstige Beleuchtung, die der Person schmeichelt und nicht blendet, muss gesorgt werden.

Am besten wird das Videointerview direkt am Schreibtisch geführt. Ein Gespräch am Küchentisch mit Küchenutensilien im Hintergrund wirkt hingegen unprofessionell und schlampig. Wenn der Background stimmt, können sich Bewerber auch am Couchtisch platzieren. Alle persönlichen Gegenstände sollten aus dem Sichtfeld entfernt werden.

Es ist angebracht, Schreibutensilien und ein Getränk bereitzustellen, wie es im persönlichen Gespräch eben auch praktiziert wird.

Das Outfit nicht unterschätzen

Kleiden Sie sich genauso, wie Sie es im persönlichen Vorstellungsgespräch tun würden. Tragen Sie dennoch Kleidung, in der Sie sich wohl fühlen. Und schauen Sie vorher, wie Sie mit dem Outfit am Bildschirm wirken. Vermeiden Sie zum Beispiel gemusterte Oberteile und zu grelle Farben, die den Interviewer irritieren könnten.

Vor der Kamera sind sehr dunkle und auch weiße Kleidungsstücke nicht zu empfehlen. Es kann nämlich zu ungünstigen Reflektionen kommen.

Die Macht der Körpersprache

Machen Sie es sich gemütlich, aber lümmeln Sie nicht auf Ihrer Couch vor dem Personaler herum. Achten Sie auf eine aufrechte Sitzposition, die nicht zu gezwungen wirkt. Bringen Sie dabei möglichst Kopf und Oberkörper zusammen auf den Bildschirm. Blicken Sie nicht direkt auf den Bildschirm, sondern immer in die Kamera. Stellen Sie sich einfach die Kamera als die Augen Ihres Gesprächsgegenübers vor. Versuchen Sie freundlich und offen und nicht allzu ernst zu schauen.

Übungen vor dem Spiegel können helfen, mit der richtigen Körpersprache aufzutreten und Eindruck zu hinterlassen.

Das zeitversetzte Videointerview

Beim zeitversetzten Videointerview handelt es sich um eine Sonderform des digitalen Interviews. Bewerber erhalten per Mail verschiedene Fragen, die sie dann in einem Videointerview ohne Gesprächspartner beantworten sollen. Es findet kein Dialog statt, vielmehr erhalten Bewerber pro Frage zwischen zwei und fünf Minuten Zeit für ihre jeweiligen Antworten.

Bewerber können sich in aller Ruhe über die einzelnen Fragen Gedanken machen und ihre Antwort geschickt ausformulieren. Die Schwierigkeit liegt darin, vor der Webcam nicht verkrampft zu wirken. Die Kamera bleibt einziger Kommunikationspartner, das verleitet dazu, die Antworten abgehackt und emotionslos herunterzurasseln. Außerdem gibt es keine Rückfragen und Bewerber können selbst auch keine Fragen stellen.

Die kurzen Antwortsequenzen können sich Bewerber anschauen und dann entscheiden, ob sie nochmal wiederholen, um etwas zu ändern oder es bei ihrer Antwort belassen. Meistens wird zur Abgabe der Antworten eine Zeitspanne von mehreren Tagen gewährt. Personaler sehen sich dann die Videointerviews aller Bewerber an und entscheiden nach ihren Kriterien, wer im weiteren Bewerbungsverfahren noch dabei sein wird. Bewerber können kaum ein Bauchgefühl entwickeln und müssen auf eine Rückmeldung einige Zeit warten.

Diese Fehler sollten Sie beim Videointerview vermeiden

  • Wer Skype als Software nutzt, sollte sich unbedingt ein berufliches Profil, unabhängig vom privaten Profil, anlegen.
  • Zu spät online gehen, denn Unpünktlichkeit geht auch im Videointerview gar nicht!
  • Wohlfühlklamotten wie Jogginghosen oder Sweatshirts tragen.
  • Den eigenen Lebenslauf nicht kennen und auf Rückfragen dazu sich in Widersprüche verstricken.
  • Keine Fragen haben an den Personaler oder Arbeitgeber haben, denn das wirkt desinteressiert und gelangweilt.
  • Technische Probleme vorschieben. Es ist genug Zeit im Vorhinein, um dafür zu sorgen, dass die Technik funktioniert.
  • Zu schnelles Sprechen kann den Gesprächsfluss erheblich stören. Wenn Interviewer nicht ausreden können, weil Bewerber zu schnell antworten, wirkt das zudem unanständig.

Wie es gelingen kann:

  • Rechtzeitig anmelden, am besten immer ein paar Minuten vorher schon online gehen.
  • Einen störungsfreien Raum organisieren (keine Kinder, die herumtoben, kein Telefon oder Türklingel, keine Geräusche von der Straße durch ein offenes Fenster).
  • Nervosität wegtrainieren. Je mehr Sie üben, desto sicherer werden Sie im Umgang mit Mikrofon und Kamera.
  • Mögliche Fragen, die Sie noch stellen wollen, notieren. So vergessen Sie in der Aufregung nicht, was Sie unbedingt von Ihren Gesprächspartnern wissen wollten.
  • Informationen und Notizen schriftlich festhalten, nicht gleichzeitig tippen während des Videointerviews.
  • Ein unaufdringliches Make-up und Zurückhaltung bei Accessoires, die vom Gesagten ablenken, sind gefragt. (Auch Männer dürfen etwas pudern, um glänzende Gesichtspartien zu kaschieren. Der Fokus liegt beim digitalen Interview immer auf dem Gesicht!).

Fazit: Raus aus der Komfortzone, rein ins Videointerview

Eine Videointerview mag vielen Bewerbern noch befremdlich erscheinen, aber es kann bei einer fleißigen und intensiven Vorbereitung trotzdem Tür und Tor zum Traumjob öffnen. Gerade Menschen, die ihre Nervosität nur schwer im Griff haben, tun sich im Videointerview oft leichter. Sie können in ihrem gewohnten Umfeld bleiben und ihr Auftreten vor der Kamera lang genug proben. Das sind Vorteile, die ein persönliches Gespräch nicht bieten kann.

Wer sich in einem anderen Bundesland, in einer anderen Stadt oder gar im Ausland bewirbt, der wird um ein Videointerview nicht drumherum kommen. Videointerviews haben sich während der Corona-Krise etabliert und werden in Bewerbungsprozessen auch nach Corona wahrscheinlich weiter einen hohen Stellenwert behalten. Gerade im Zeitalter der Digitalisierung sind Videointerviews fortschrittlich, effektiv und eine passende Methode, um Arbeitnehmer und Arbeitgeber zusammen zu bringen.

Unser finaler Tipp für Ihr Videointerview lautet: Trauen Sie sich und lassen Sie sich auf das Experiment des digitalen Vorstellens ein. Leben Sie den Zeitgeist und profitieren Sie von den technischen Möglichkeiten. Denn letztlich spielt es weniger eine Rolle, ob Sie sich als Bewerber im persönlichen Gespräch oder im Videointerview präsentieren, beweisen müssen sie sich allemal.

Dr. Hans-Peter Luippold

Autor: Dr. Hans-Peter Luippold

Dr. Hans-Peter Luippold studierte Betriebswirtschaft in Freiburg und Köln und sammelte als Führungskraft bei Daimler, Volkswagen, Lufthansa, Wella und Vorwerk Erfahrungen in allen wesentlichen Unternehmensbereichen. Seit April 2000 ist er als Unternehmens- und Personalberater in Frankfurt am Main tätig. Er hält regelmäßig Vorträge und lehrt zu den Themen Erfolg und Karriere. Vernetzen Sie sich mit ihm über Xing und LinkedIn.