Dunning Kruger Effekt: Wenn aus Selbstvertrauen Selbstüberschätzung wird

Dunning Kruger Effekt: Wenn aus Selbstvertrauen Selbstüberschätzung wird

Berufsleben | 16.10.2023

Selbstvertrauen ist der Schlüssel zum Erfolg – doch manchmal neigen Menschen dazu, sich selbst in einem zu positiven Licht zu sehen und die eigenen Fähigkeiten zu überschätzen. Der sogenannte Dunning Kruger Effekt beschreibt diese verzerrte Selbstwahrnehmung. Welche Auswirkungen er auf die eigene Karriereentwicklung hat und wie man eine realistischere Eigenwahrnehmung entwickeln kann, erfahren Sie in diesem Artikel.

Dunning Kruger Effekt: Das Wichtigste auf einen Blick

  • Der Dunning Kruger Effekt beschreibt die Selbstüberschätzung, welche oft bei wenig kompetenten Menschen beobachtet wird.
  • Diese Überschätzung kann dazu führen, dass eigene Schwachstellen ignoriert werden und dadurch das persönliche und berufliche Wachstum beeinträchtigt wird.
  • Im Gegensatz dazu beschreibt das Hochstapler-Syndrom die Neigung, die eigenen Fähigkeiten konstant anzuzweifeln.
  • Selbstreflexion und konstruktives Feedback sind der Schlüssel für eine bessere Selbstwahrnehmung und die Basis für die eigene Entwicklung im beruflichen Kontext. 

Was ist der Dunning Kruger Effekt?

Der Dunning Kruger Effekt geht auf die amerikanischen Psychologen Dunning und Kruger zurück und beschreibt die verzerrte Selbsteinschätzung inkompetenter Personen. Studien zeigen, dass Menschen ihre eigene mangelhafte Kompetenz oft nicht wahrnehmen und dazu neigen, sich selbst als fähiger einzuschätzen, als sie es in der Realität sind. Gleichzeitig tendieren sie dazu, die Kompetenzen anderer zu unterschätzen.

Wie äußert sich der Effekt und welche Auswirkungen hat er?

Das Dunning-Kruger-Phänomen kann im Alltag an vielen Stellen beobachtet werden. Ein klassisches Beispiel sind Personen, die der Meinung sind, bessere Entscheidungen treffen zu können als Fachleute. Es gibt Menschen, die glauben, dass sie aufgrund ihres eigenen "gesunden Menschenverstands" und ihrer alltäglichen Erfahrungen besser in der Lage sind, wirtschaftliche und finanzielle Entscheidungen zu treffen als erfahrene Ökonomen oder Finanzexperten. Sie können zum Beispiel glauben, dass sie die besten Anlagemöglichkeiten kennen und in der Lage sind, den Markt zu schlagen, ohne das notwendige Fachwissen und die Informationen zu haben, die für fundierte Entscheidungen erforderlich sind. Oftmals führt diese Selbstüberschätzung zu finanziellen Verlusten und Fehlentscheidungen. Dieses Verhalten spiegelt ebenfalls den Dunning-Kruger-Effekt wider, da diese Personen ihre eigenen Fähigkeiten im wirtschaftlichen Bereich überschätzen und die Expertise und Analysefähigkeiten von Fachleuten unterschätzen

Auch im Arbeitsalltag kann oft beobachtet werden, dass Arbeitnehmer, die am Dunning-Kruger-Effekt leiden, ihre eigenen Kompetenzen überschätzen und Schwachstellen ignorieren. Das kann Folgen für Kollegen und Arbeitgeber haben: Personen, die sich selbst überschätzen, können schlecht informierte Entscheidungen treffen und tendieren dazu, auch konstruktive Kritik an sich abprallen lassen.

Die vier Stufen der Selbstüberschätzung: Ein Teufelskreis

Experten beschreiben den Effekt der Selbstüberschätzung als einen Kreislauf, der aus vier verschiedenen, sich gegenseitig beeinflussenden Aspekten besteht:

  1. Selbstüberschätzung: Die inkompetente Person neigt zur Überschätzung ihrer eigenen Fähigkeiten.
  1. Mangelnde Selbsterkenntnis: Die Person kann die eigenen Schwachstellen nicht als solche identifizieren und ist sich des Ausmaßes ihrer eigenen Unfähigkeit nicht bewusst.
  1. Stagnation: Die unrealistische Selbstwahrnehmung verhindert, dass die Person Schritte gegen ihre eigenen Schwachstellen unternimmt und der Status Quo bleibt erhalten.
  1. Verzerrte Fremdwahrnehmung: Die inkompetente Person neigt dazu, die Kompetenzen anderer zu unterschätzen.

Wer waren Dunning und Kruger?

David Dunning und Justin Kruger sind zwei US-amerikanische Sozialpsychologen, die vor allem für ihre 1999 veröffentlichte Studie zum nach ihnen benannten Dunning-Kruger-Phänomen bekannt sind. Die Studie wurde von einem versuchten Bankraub im Jahr 1995 inspiriert, bei dem der Bankräuber versuchte, sich mithilfe von Zitronensaft zu maskieren. Dadurch, dass Zitronensaft oft als unsichtbare Tinte eingesetzt wird, glaubte der Kriminelle, für die Überwachungskameras unsichtbar zu werden, wenn er sich damit einriebe. Der gescheiterte Überfall inspirierte die US-amerikanischen Akademiker, sich näher damit auseinanderzusetzen, wie Inkompetenz die eigene Selbstwahrnehmung beeinflusst.

In der Studie testeten Dunning und Kruger, wie objektiv Menschen ihre eigenen Kompetenzen in verschiedenen Bereichen (beispielsweise logisches Denken oder Humor) einschätzen können. Sie stellten fest, dass inkompetente Personen sich selbst tendenziell überschätzen.

Wie entsteht der Dunning Kruger Effekt?

Das psychologische Phänomen der Selbstüberschätzung bei gleichzeitiger Inkompetenz lässt sich auf die eigene Ignoranz zurückführen. Im Gegensatz zur bewussten Inkompetenz, bei der Menschen in der Lage sind, ihre eigenen Schwachstellen zu identifizieren, beschreibt das Dunning-Kruger-Phänomen Situationen der unbewussten Inkompetenz. Die betroffenen Personen sind quasi blind für ihre eigene Fehleinschätzung und unternehmen daher nichts, um mangelndem Wissen und fehlenden Kompetenzen entgegenzuwirken. Gleichzeitig konnten Forscher zeigen, dass eine positive Selbstbewertung das Belohnungszentrum des Gehirns aktiviert und dafür sorgt, dass die jeweilige Person glücklicher wird – selbst wenn die Einschätzung nicht der Realität entspricht.

Ursachen und Hintergründe

Es ist Menschen allgemein nicht möglich, sich selbst objektiv zu beurteilen. Zu einem gewissen Grad ist die eigene Wahrnehmung daher immer verzerrt. Dies lässt sich gut daran erkennen, dass Personen das gleiche Verhalten bei sich und anderen unterschiedlich bewerten. Sich selbst in ein besseres Licht zu rücken, kann auch dazu dienen, den eigenen Selbstwert zu schützen und das eigene Selbstbewusstsein zu stärken.

Ein weiterer Grund, aufgrund dessen Inkompetenz unerkannt bleibt, ist die fehlende Fähigkeit zur Selbstkritik. Um mangelnde Kenntnisse und Kompetenzen als solche zu identifizieren, wird ein Bewusstsein dafür vorausgesetzt. In anderen Worten: Wenn eine Person inkompetent ist, ist sie unfähig, ihre Inkompetenz als solche zu erkennen.

Warum überschätzen Menschen ihre eigenen Fähigkeiten so oft?

In der Regel neigen Menschen dazu, sich als etwas positiver einzuschätzen, als sie es objektiv wirklich sind. Ein gewisses Maß an Selbstüberschätzung ist daher total normal und auch evolutionsbiologisch erklärbar. Wer sich selbst als kompetent wahrnimmt, wird eher motiviert sein, in Aktion zu treten und für das eigene Überleben zu sorgen als jemand, der von Selbstzweifeln überwältigt ist.

Es ist wichtig, diese normale Äußerung der Selbstüberschätzung von einer extrem verzerrten Selbstwahrnehmung, wie sie beispielsweise bei Narzissten auftritt, abzugrenzen. Letztere leiden an einer Persönlichkeitsstörung und versuchen, durch eine überspitzte Selbstdarstellung ihr eigentlich instabiles Selbstbewusstsein zu tarnen.

Der Dunning Kruger Effekt in der Praxis: Wie kann er sich in verschiedenen Bereichen des Arbeitslebens manifestieren?

Das Dunning-Kruger-Phänomen kann sowohl bei Berufseinsteigern als auch erfahrenen Arbeitnehmern und Führungskräften beobachtet werden. Im Folgenden werden einige Beispiele präsentiert:

  • Menschen, die am Anfang ihrer Karriere stehen, verfügen dementsprechend über weniger einschlägige Berufserfahrung als diejenigen ihrer Kollegen, die schon jahrelang für die Firma tätig sind. Trotzdem kann beobachtet werden, dass Berufsanfänger oft eine Überlegenheit gegenüber ihrer kompetenteren Kollegen fühlen. Erste Erfolgserlebnisse führen schnell zur Selbstüberschätzung.
  • Auch Personen, die schon länger in ihrem Fachgebiet arbeiten, sind vor dem Dunning-Kruger-Phänomen nicht gefeit. Sie können trotzdem Wissenslücken ignorieren oder kritikresistent sein, wenn sie auf Fehler hingewiesen werden. Diese Ignoranz gegenüber der eigenen Unfähigkeit kann die berufliche Weiterentwicklung behindern und auch für das Unternehmen und die Kollegen negative Folgen haben.
  • Nicht zuletzt können Führungskräfte ihrem Arbeitsumfeld erheblich schaden, wenn sie ihre Entscheidungen auf Halbwissen und Eigenüberschätzung basieren. In diesen Fällen setzen sie sich ungenügend mit Problemen auseinander oder lehnen hilfreiche Tipps von informierten Mitarbeitern ab. Dadurch wird die Kommunikation zwischen Führungskraft und Arbeitnehmern erschwert und auch das Arbeitsklima beeinträchtigt.

So reagieren Sie auf Menschen, die dem Dunning Kruger Effekt erlegen sind

Wenn Sie im Berufsalltag mit Menschen zu tun haben, die zur Selbstüberschätzung neigen, ist offene und empathische Kommunikation wichtig. Fehlende Kompetenzen sollten reflektiert werden, um negative Folgen für das Unternehmen und seine Mitarbeiter zu verhindern. Dabei sollte auf konstruktive Kritik geachtet werden, damit die Rückmeldung nicht als Angriff auf die eigene Person verstanden wird. Gleichzeitig hilft es, Lösungsvorschläge in das Feedback einzubinden. Dennoch ist es möglich, dass die andere Person zunächst keine Einsicht zeigt.

So vermeiden Sie den Dunning Kruger Effekt

Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung – dieses deutsche Sprichwort trifft auch in diesem Kontext zu. Um zu vermeiden, sich einer falschen Selbsteinschätzung hinzugeben, ist Selbstreflexion unabdingbar. Man sollte sich in einem gewissen Maß von Selbstkritik üben und das eigene Wissen und Können kritisch hinterfragen.

Wer Schwierigkeiten hat, eigene Schwachstellen zu identifizieren, kann vertraute Personen um Feedback bitten. Oft können Freunde, Arbeitskollegen und Familienmitglieder dabei helfen, eigene Baustellen anzugehen. Auch wenn es Überwindung kosten kann, nach konstruktiver Kritik zu fragen, ist die Rückmeldung von außen für die persönliche und berufliche Entwicklung essenziell.

Tipps zur Entwicklung und Verbesserung einer realistischen Selbsteinschätzung

Nachdem die eigenen Schwachstellen erkannt worden sind, können diese strategisch angegangen werden. Anstelle der unbewussten Inkompetenz tritt die bewusste Inkompetenz. Diese geht in der Regel mit Frustration einher, da der egoschützende Effekt der Überschätzung einer realistischeren Einschätzung des Selbst weicht. Zur gleichen Zeit entstehen aber die Voraussetzungen, sich aktiv neue Kompetenzen anzueignen und Halbwissen mit echter Expertise zu ersetzen.

Um langfristig eine realistische Selbsteinschätzung zu entwickeln, sollte das Selbstbild hin und wieder durch äußeres Feedback mit der Fremdwahrnehmung abgeglichen werden. Diese Kritik sollte als Möglichkeit zur Selbstentwicklung verstanden werden und nicht als Angriff auf die eigene Person, vor dem man sich schützen muss.

Zusätzlich hilft es, im Berufsalltag Fehler zu akzeptieren und das Fragen nach Unterstützung zu normalisieren.

Das Gegenteil des Dunning-Kruger-Effekts: Das Impostor-Syndrom

Im Gegensatz zur Selbstüberschätzung neigen Menschen mit Impostor-Syndrom (auf Deutsch auch Hochstapler-Syndrom genannt) dazu, ihre eigene Expertise anzuzweifeln. Diese Personen halten sich für unterdurchschnittlich kompetent und haben oft Angst, dass ihr Umfeld die vermeintliche Unfähigkeit bemerkt. Hierbei handelt es sich jedoch auch um eine verzerrte Selbstwahrnehmung, da Menschen mit Impostor-Syndrom in der Regel durchaus über fundierte Fähigkeiten und Wissen verfügen.

Definition und kurze Erklärung des Impostor Syndroms

Menschen, die unter dem Impostor-Syndrom leiden, haben erhebliche Selbstzweifel und schätzen ihre Chancen auf beruflichen oder akademischen Erfolg als gering ein. Obwohl sie oft gute Leistungen erbringen, fällt es ihnen schwer, diese mit ihren eigenen Fähigkeiten in Zusammenhang zu bringen. Sie fühlen sich meistens unzureichend auf die Herausforderungen im Arbeitsalltag vorbereitet und fürchten, an einem gewissen Punkt als Hochstapler enttarnt zu werden. Diese Angst hindert sie daran, sich persönlich und beruflich weiterzuentwickeln. Menschen mit Impostor-Syndrom sind oft perfektionistisch und neigen zur Selbstsabotage und Prokrastination.

Unterschiede zum Dunning Kruger Effekt und wie man es erkennen und überwinden kann

Es gibt klar erkennbare Unterschiede zwischen Menschen, die vom Dunning-Kruger-Effekt betroffen sind und solchen, die am Impostor-Syndrom leiden:

  • Während Personen, die zur Selbstüberschätzung neigen, oft selbstbewusst und proaktiv auftreten, sind diejenigen, die sich negativer einschätzen, eher zurückhaltend und selbstkritisch. Um Fehler zu vermeiden, schieben Letztere Aufgaben vor sich her und verbringen übermäßig viel Zeit damit, ihre Arbeit zu perfektionieren.
  • Menschen mit übertriebener Selbstwahrnehmung sind in der Regel deutlich inkompetenter, als sie annehmen, während Personen mit Hochstapler-Syndrom oft fähiger sind, als sie erwarten.

Wie beim Dunning Kruger Effekt hilft Selbstreflexion auch beim Impostor-Syndrom, die damit verbundenen Probleme zu überwinden:

  • Betroffene sollten negative Gedanken kritisch hinterfragen und sich regelmäßig bemühen, sich die eigenen, positiven Seiten ins Gedächtnis zu rufen.
  • Anstatt sich Vergleichen hinzugeben, sollten die Leistungen von anderen emotional distanzierter betrachtet werden und als Lernmöglichkeit verstanden werden.
  • Wenn selbstsabotierende Gedanken Überhand gewinnen, kann externe Hilfe durch einen Karriere-Coach oder einen Psychologen die eigene Entwicklung unterstützen.
Dr. Hans-Peter Luippold

Autor: Dr. Hans-Peter Luippold

Dr. Hans-Peter Luippold studierte Betriebswirtschaft in Freiburg und Köln und sammelte als Führungskraft bei Daimler, Volkswagen, Lufthansa, Wella und Vorwerk Erfahrungen in allen wesentlichen Unternehmensbereichen. Seit April 2000 ist er als Unternehmens- und Personalberater in Frankfurt am Main tätig. Er hält regelmäßig Vorträge und lehrt zu den Themen Erfolg und Karriere. Vernetzen Sie sich mit ihm über Xing und LinkedIn.