Normalerweise ist eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) das rechtmäßige Mittel, mit dem Arbeitnehmer gegenüber ihrem Arbeitgeber ihre Arbeitsunfähigkeit nachweisen können. Sie haben dann gemäß § 3 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EntgFG) Anspruch auf Lohnfortzahlung bis zu sechs Wochen.
Mitarbeiter hatte sich exakt bis zum Ende der Beschäftigung krankgemeldet
Es kann aber Situationen geben, in denen der Arbeitgeber eine AU in Zweifel ziehen kann. Über einen solchen Fall hat jetzt das Bundesarbeitsgericht verhandelt (Aktenzeichen 5 AZR 137/23). Es ging dabei um den ehemaligen Mitarbeiter eines Unternehmens, der dort als Helfer beschäftigt war. Er legte am 2. Mai 2022 eine AU für den Zeitraum vom 2. bis zum 6. Mai vor. Zum 3. Mai erhielt der Mitarbeiter ein Schreiben mit der Kündigung seines Arbeitgebers. Der Mitarbeiter reichte in der Folge zwei weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ein: eine vom 6. Mai und eine vom 20. Mai. Die Arbeitsunfähigkeit wurde damit bis einschließlich zum 31. Mai bescheinigt. Am 1. Juni begann der Arbeitnehmer eine neue Stellung bei einem anderen Unternehmen.
Der bisherige Arbeitgeber verweigerte daraufhin die Lohnfortzahlung und begründet dies damit, dass der Beweiswert der vorgelegten AU erschüttert sei. Der Arbeitnehmer argumentierte damit, dass die Arbeitsunfähigkeit bereits vor der zugestellten Kündigung bestanden habe.
In zwei Verfahren vor dem Arbeitsgericht und dem Landesarbeitsgericht erhielt der Arbeitnehmer Recht. Sie gaben der Klage auf Entgeltfortzahlung bis zum 31. Mai statt.
Bundesarbeitsgericht: Arbeitgeber kann den Beweiswert einer AU durch tatsächliche Umstände und Beweise erschüttern
Das Bundesarbeitsgericht sah das jedoch anders: Ein Arbeitgeber könne den Beweiswert einer AU erschüttern, wenn er tatsächliche Umstände darlegen und beweisen könne, die nach einer Gesamtbetrachtung Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit geben. Hier sei eine einzelfallbezogene Würdigung der Gesamtumstände erforderlich. Im konkreten Fall sieht auch das Bundesarbeitsgericht den Beweiswert der ersten AU vom 2. Mai als nicht erschüttert an, denn es sei kein zeitliches Zusammenfallen zwischen AU und dem Zugang der Kündigung gegeben.
Dagegen sieht das Bundesarbeitsgericht den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen von 6. Mai und vom 20. Mai als erschüttert an. Das Landesarbeitsgericht habe das zeitliche Zusammentreffen zwischen der passgenauen Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit und der Kündigungsfrist nicht ausreichend berücksichtigt. Das gelte auch für den Umstand, dass der Kläger unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufgenommen habe.