Nein sagen: Stilvoll Grenzen ziehen

Nein sagen: Stilvoll Grenzen ziehen

Berufsleben | 21.02.2024

Nein sagen - So ziehen Sie geschickt Grenzen ohne schlechtes Gewissen. Erfahren Sie, warum es wichtig ist "Nein" zu sagen und wie Sie es auf freundliche Art tun.

Der Mensch strebt nach Anerkennung und möchte gemocht werden. Das Ja-Sagen wird uns schon in der früher Kindheit antrainiert. Wir wollen Konflikte vermeiden, nicht negativ auffallen, uns integrieren und gelobt werden. Dabei vergessen wir allerdings, dass wir bei zu viel Ja-Sagerei schnell zum Depp degradiert werden. Nein zu sagen kann schwierig sein, aber es ist eine wichtige Fähigkeit, die Sie lernen sollten. Wenn Sie Grenzen setzen, sagen Sie der Welt, dass Sie wichtig sind und dass Ihre Bedürfnisse berücksichtigt werden sollten. Außerdem setzen Sie sich selbst gesunde Grenzen, die dazu beitragen können, Überforderung und Erschöpfung zu vermeiden. Wie können Sie also anfangen, auf eine Art und Weise Nein zu sagen, die sich für Sie angenehm anfühlt? 

Warum sind wir oft solche Ja-Sager?

Kannst du mal eben bitte? Magst du mal bitte? Würdest du mir kurz einen Gefallen tun?

Mit solchen oder ähnlichen Situationen werden wir täglich im Privat- und Berufsleben konfrontiert. Der beste Kumpel braucht etwas von uns, die Nachbarin bittet um einen kleinen Gefallen und der Kollege fragt wieder mal nach Unterstützung. Und wir wollen unser Bestes geben, nicht unhöflich sein und natürlich gern helfen. Nein sagen kommt gar nicht in Frage, denn das würde unser Selbstbild beschmutzen und unser schlechtes Gewissen nur unnötig füttern. Wirklich?

Gold für das fleißige Mariechen

Das Bild vom anständigen Menschen ist geprägt von Gut und Böse. Bereits als Kind wird uns in Märchen vermittelt, dass fleißige Menschen am Ende für ihren selbstlosen Einsatz und ihre Hilfsbereitschaft belohnt werden. In der Arbeitswelt assoziieren wir einen guten Mitarbeiter mit den Attributen teamfähig, kollegial, empathisch, diensttreu und loyal.

Ganz banale Gründe

Manche Menschen definieren sich ausschließlich darüber, dass Sie gebraucht werden und vermeintlich unverzichtbar sind. Wer regelmäßig um Hilfe gebeten wird, fühlt sich wichtig und stärkt damit sein Selbstbewusstsein.

Andere Menschen wiederum fühlen sich schlecht, wenn Sie etwas ablehnen oder nein sagen. Das schlechte Gewissen erdrückt sie regelrecht und sie können nicht mehr schlafen oder in den Spiegel schauen.

Unsere Erziehung und Wertevorstellungen passen oft nicht zusammen mit einem Nein. Wer nein sagt, gilt als arbeitsscheu, unhöflich, egoistisch, gemein, rücksichtslos und bequem. Denken wir. Aber würden alle Chefs immerzu nur ja sagen, wären sie möglicherweise gar nicht in der Position des Vorgesetzten. Denn nein sagen gehört dazu, um

  • eigene Wünsche und Vorstellungen auszudrücken
  • Grenzen zu ziehen (bis hierhin und nicht weiter)
  • sich nicht hinter andere zu stellen und stattdessen sich selbst treu zu bleiben
  • seinen Fokus nicht zu verlieren
  • erfolgreich zu sein und zu bleiben
  • sich nicht selbst zu verlieren, weil andere ihren Ballast unbedarft abladen

Das sind die Gründe, warum wir nicht nein sagen können

Kurz zusammengefasst:

  • Ansehen (der Wunsch, respektiert und geliebt werden)
  • Angst vor zwischenmenschlichen Konflikten
  • Angst vor beruflichen Konsequenzen (wenn das Nein dem Chef oder unmittelbaren Vorgesetzten gilt)
  • Angst vor sozialen Konsequenzen (Ausschluss aus einer Gruppe)
  • der Drang, immer und überall dabei sein zu wollen, um nichts zu verpassen
  • das anerzogene, aber oftmals falsch gelebte Hilfe-Syndrom (Hilfe ist nicht immer angebracht, denn sie hilft nicht in allen Situationen)
  • das befriedigende Gefühl, gebraucht zu werden (fehlendes Selbstbewusstsein)

Warum fällt einigen Menschen nein sagen so schwer?

Ein Chef wünscht sich immer Mitarbeiter, die sich gegenseitig unterstützen, um entstehende Lücken geschickt zu kompensieren und ungeplante Ausfälle ohne zusätzliche Mehrkosten aufzufangen. Das heißt aber nicht, dass Sie sich als Angestellter zur Marionette machen müssen.

Selbstverständlich dürfen Sie immer Ihre Hilfe anbieten oder anderen unter die Arme greifen, wenn Sie es freiwillig und aus tiefster Überzeugung tun. Wenn es jedoch nach und nach zur Belastung wird und kleine Gefälligkeiten zu großen Herausforderungen werden, dann ist es an der Zeit, mit nein zu antworten. Nehmen Sie lieber das enttäuschte Gesicht eines Kollegen in Kauf, als dass Sie mit Mehrarbeit nach Hause gehen. Halten Sie das Stirnrunzeln Ihres Chefs aus, wenn Sie ihm eine Absage erteilen müssen und er nicht damit rechnet.

Seien Sie nicht der Sklave Ihrer Umwelt und Ihrer Mitmenschen, befreien Sie sich von dem Gedanken, ohne Sie geht nichts!

Mutter Theresa zu sein ist nicht erstrebenswert

Hilfsbereitschaft ist ein schöner Charakterzug und zeugt von Anstand. Aber niemand muss Mutter Theresa spielen. Manche Menschen werden bestätigt, wenn andere sie um Hilfe bitten. Sie lieben das Gefühl, unersetzlich zu sein. Unbedingt erstrebenswert ist das allerdings nicht. Denn andere Kollegen sind auch schon groß und können für Ihren Lohn selbst arbeiten. Wer also begreift, dass Verantwortung auch mal abgegeben werden muss, hilft sich und anderen am ehesten weiter.

Außerdem erzeugen Sie viel Neid, wenn Sie der Mitarbeiter sind, der immer alles kann und immer alles macht. Vielleicht ist ihr Chef ganz begeistert von Ihrem aufopfernden Einsatz, aber sind es Ihre Kollegen auch?

Konsequenzen einer fehlenden Abgrenzung

Sie können sich jahrelang zerreißen und es Ihren Mitmenschen mit Ihrer Ja-Sagerei recht machen. Und doch wird es wahrscheinlich der Kollege sein, der die Beförderung oder Lohnerhöhung erhält. Wer anderen immer nur einen Gefallen tun will und nichts ausschlagen kann, der schadet vor allem sich selbst und seiner seelischen Gesundheit. Eigene Bedürfnisse, Wünsche und Aufgaben kommen zu kurz. Dabei ist ein gewisses Maß an Egoismus gesund und wichtig.

Zunehmende Überstunden, fehlende Freizeit, Arbeit an Wochenenden und Schlafmangel sind nur einige der Konsequenzen, wenn Arbeitnehmer einfach nicht nein sagen können.

Nein sagen ohne Schuldgefühle, das geht!

Die meisten Arbeitnehmer werden zum Ja-Sager, weil sie einen Sympathieverlust fürchten oder meinen, das könnte ihrer Karriere schaden. Tatsächlich ist eine Absage aber kein Weltuntergang und lässt Sie auch in den meisten Fällen nicht in einem schlechten Licht dastehen. Ganz im Gegenteil. Wer mutig und selbstbewusst nein sagen kann, läuft nicht Gefahr, ausgenutzt zu werden und wird vor allem wegen seiner Kompetenzen und um seiner selbst willen geschätzt.

Nein sagen lässt sich trainieren. Üben Sie sich in dem Versucht, dies zu lernen. Ganz simple und praktische Übungen können dabei helfen.

Vor der den Spiegel treten

Schauen Sie in den Spiegel und sagen Sie wiederholt nein. Probieren Sie, dieses Nein freundlich, aber bestimmt zu sagen. Führen Sie diese Übung regelmäßig durch, bis sie in Fleisch und Blut übergeht.

Fangen Sie heute noch mit Ihrem ersten Nein an

Der nächste Kollege, der Sie um Unterstützung bittet, dem antworten Sie mit einem höflichen Nein. Bereiten Sie am besten eine entsprechende Formulierung vor. Wenn Sie das geschafft haben, dann überprüfen Sie mal Ihre Gefühlslage. Vermutlich werden Sie so etwas wie Erleichterung spüren.

Eigene Aufgaben haben immer Vorrang

Sie haben keine Kapazitäten mehr frei? Dann sagen Sie es und begründen Sie Ihr Nein kurz. Sie haben zum Beispiel Zeitdruck oder ein wichtiges Projekt, das Sie vollends in Anspruch nimmt. Machen Sie keine großartige Rechtfertigung daraus. Eine kurze prägnante Absage genügt.

Bleiben Sie gelassen und fordern Sie Geduld ein

Wer spontan und ohne zu überlegen zusagt, ärgert sich später am meisten. Deshalb merken Sie sich: Es gibt keinen Grund, sofort ja zu sagen. Bitten Sie immer um etwas Bedenkzeit. Und dann wägen Sie genau ab, ob Sie lieber nein sagen und ablehnen möchten.

Trainieren Sie Ihre Körpersprache

Sagen Sie Ihr Nein stets mit einem Lächeln im Gesicht. Auch das lässt sich vorm Spiegel gut üben. Lernen Sie, aufrecht und gerade zu stehen und Ihrem Gesprächspartner in die Augen zu schauen. Dadurch wirken Sie stark, ehrlich und vermittlen gleichzeitig, dass Sie die Situation Ihres Gegenübers mitfühlen.

Eine einfache Rechnung durchführen

Rechnen Sie doch mal zusammen, wie viel Zeit Sie verlieren, wenn Sie für andere Kollegen Aufgaben erledigen. Schreiben Sie sich die Stundenzahl auf, damit Sie es bewusst schwarz auf weiß vor sich sehen. Ärgern Sie sich? Was hätten Sie in dieser Zeit für sich tun können?

Diskutieren Sie nicht

Sie lehnen ab, basta! Verstricken Sie sich nicht in unnötige Diskussionen. Sie haben ein Recht darauf, selbst zu entscheiden und nein zu sagen. Beenden Sie das Gespräch, wenn Ihr Gegenüber das nicht akzeptieren will. Sofern es nicht Ihr Chef ist, müssen Sie Ihr Nein nicht ausufernd begründen.

Tipp: Wenn Ihr Bauchgefühl sagt, dass etwas nicht stimmt, dann ist es Zeit, etwas zu ändern. Üben Sie, zu anderen nein zusagen und zu sich selbst ja zu sagen.

Die besten Formulierungen, um nein zu sagen

Unsere praktischen Beispiele zum Neinsagen für den Arbeitsalltag:

  • Sorry, eigentlich gern, aber zurzeit bin ich absolut ausgelastet.
  • Frag mich vielleicht später nochmal.
  • Es tut mir leid, aber heute kann ich gar nicht, weil ich selbst noch so viel fertigbekommen muss.
  • Diesmal kann ich leider nicht, aber das nächste Mal bestimmt.
  • Frag doch mal Kollege XY, vielleicht hat der noch etwas Luft.
  • Da bin ich der Falsche, ich bin selbst am Limit.
  • Ganz ehrlich, ich muss ablehnen. Es ist gerade ganz schlechtes Timing.
  • Das schaffe ich heute nicht. Und morgen wahrscheinlich auch nicht.
  • Da muss ich dir einen Korb geben, so leid es mir tut.
  • Nein, das geht diesmal überhaupt nicht.
  • Ich würde gern, aber muss ablehnen.
  • Ich hatte dir ja neulich erst geholfen, diesmal muss ich passen.

Zunächst einmal ist nein sagen viel einfacher als Sie womöglich annehmen. Wenn Sie jemand nach Ihrer Hilfe fragt, sagen Sie nicht gleich ja und auch nicht gleich nein. Das wird Ihnen als eingefleischter Ja-Sager wahrscheinlich sowieso nicht gelingen.

Probieren Sie stattdessen folgende Alternativen:

  • Sagen Sie, Sie sind gerade mit ihren eigenen Aufgaben in Zeitnot und haben aktuell absolut keine Kapazitäten für andere Dinge
  • Bitten Sie um etwas Bedenkzeit
  • Lehnen Sie einfühlsam ab

Fazit: Nein sagen ist der Schlüssel zum Erfolg

Gute Mitarbeiter sind nicht solche, die stets immer ja sagen, sondern es sind diejenigen, die sich auf ihr Arbeitsgebiet fokussieren und bei freier Kapazität Kollegialität beweisen. Teamgeist hat nicht, wer sich immer den Stempel des Hampelmanns aufdrücken lässt, sondern wer im Sinne des Unternehmens fair und respektvoll mit seinen Kollegen zusammenarbeitet und seine Arbeit mit Herzblut ausübt.

Everbodys darling ist auch oft everybodys Depp

Ist Ihnen vielleicht schon mal aufgefallen, dass es immer die Kollegen, die Ihre Aufgaben geschickt abtreten, sind, die pünktlich in den Feierabend gehen, während Sie selbst noch über einen Berg Arbeit sitzen?

Bleiben Sie ruhig der fleißige Kollege, der Sie sind, aber seien Sie achtsam. Hören Sie auf, der Depp vom Dienst zu sein, auch wenn Sie glauben, jeder mag sie. Seien Sie gut zu sich selbst, denn Sie sind in Ihrem Leben der wichtigste Mensch. Trauen Sie sich, nein zu sagen. Vielleicht werden Sie nicht immer Beliebtheit und Verständnis ernten, aber Sie schützen sich damit vor Überlastung und möglichen Folge-Erkrankungen.

Und die beste Nachricht für Sie ist: Nein sagen lässt sich lernen. Sie müssen es nur oft genug machen. Seien Sie mutig, seien Sie stark, seien Sie egoistisch. Sagen Sie höflich nein.

Dr. Hans-Peter Luippold

Autor: Dr. Hans-Peter Luippold

Dr. Hans-Peter Luippold studierte Betriebswirtschaft in Freiburg und Köln und sammelte als Führungskraft bei Daimler, Volkswagen, Lufthansa, Wella und Vorwerk Erfahrungen in allen wesentlichen Unternehmensbereichen. Seit April 2000 ist er als Unternehmens- und Personalberater in Frankfurt am Main tätig. Er hält regelmäßig Vorträge und lehrt zu den Themen Erfolg und Karriere. Vernetzen Sie sich mit ihm über Xing und LinkedIn.