Fachkräftemangel gefährdet Neuansiedlungen in der Chipindustrie

Fachkräftemangel gefährdet Neuansiedlungen in der Chipindustrie

News | 18.02.2024

Der Fachkräftemangel in der Chip- und Halbleiterindustrie ist bereits heute groß und wird sehr wahrscheinlich in den kommenden Jahren weiter ansteigen. Gleichzeitig wächst der Bedarf an qualifizierten Mitarbeitern. Das alles gefährdet die Ansiedlungen weiterer Unternehmen und Produktionsstandorte der Branche.

Für Ostdeutschland, aber auch für Deutschland und Europa insgesamt, ist der Aufbau einer eigenen Halbleiterindustrie ein strategischer Schlüsselfaktor. Allerdings benötigen Unternehmen wie Intel, Infineon und TSMC für ihre Produktion geschulte Fachkräfte. Und von denen gibt es in Deutschland nicht genug. Die Probleme, mit der sich speziell die Chipindustrie konfrontiert sieht, zeigt das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW Köln) auf. Es wurden 117 Berufe identifiziert, die für die Versorgung der Halbleiterindustrie mit Fachkräften besonders von Relevanz sind.

Fachkräftelücke in der Chipindustrie um 30 Prozent gestiegen

Alleine im vergangenen Jahr ist demnach die Fachkräftelücke von durchschnittlich 62.000 im Jahr 2022 auf durchschnittlich 82.000 im Jahr 2023 gestiegen. Das entspricht einer Zunahme von rund 30 Prozent.

40.000 Bewerber mit Berufsausbildung fehlen

Bei etwa jeder zweiten Stelle, die aktuell für relevante Berufe in der Halbleiterindustrie nicht besetzt werden kann, handelt es sich um einen Job, der eine Berufsausbildung voraussetzt. Hier fehlen derzeit mehr als 40.000 passende Bewerber. Das entspricht einer Zunahme von 49 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Besonders stark angestiegen ist die Fachkräftelücke im Bereich elektrische Betriebstechnik und Mechatronik. Auch für Fachkräfte für Schweiß- und Verbindungstechnik, Elektrotechnik, Automatisierungstechnik sowie auch bei technischen Servicekräften sowie bei Fachkräften für Metallbearbeitung fehlen Fachkräfte.

Große Fachkräftelücke auch bei Experten

Auch im Bereich der Experten gibt es eine große und wachsende Fachkräftelücke. Entsprechende Jobs gibt es vor allem für die Planung und Steuerung von Produktionsprozessen. Dabei handelt es sich um hochkomplexe Tätigkeiten, für welche die Mitarbeiter über eine entsprechende Qualifikation verfügen müssen. Im Expertenbereich ist die Fachkräftelücke im Vergleich zum Vorjahr um 7.500 gestiegen. Das entspricht einem Wachstum von 34 Prozent. Insbesondere bei Experten für Elektrotechnik zeigt sich eine große Lücke. Auch Experten für Softwareentwicklung sowie für technische Produktionsplanung und -steuerung werden mehr nachgefragt, als passende Fachkräfte verfügbar sind.

Spezialisten gesucht

Und auch Spezialisten, die normalerweise über eine Fortbildung als Techniker oder Meister oder über ein abgeschlossenes Bachelor-Studium verfügen müssen, übersteigt die Nachfrage der Unternehmen aus der Halbleiterindustrie das Fachkräfteangebot. Insgesamt fehlten im Jahresmittel 2022 / 2023 rund 12.200 Spezialisten, vor allem in der Elektrotechnik. Allerdings ist in diesem Qualifikationssegment die Fachkräftelücke nur geringfügig gewachsen, und zwar um etwa drei Prozent.

Mögliche Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel in der Chipindustrie

Die bestehende und zukünftig wachsende Fachkräftelücke bedroht die erfolgreiche Ansiedlung von Unternehmen der Halbleiterindustrie und neuen Chipfabriken. Mit einer Verschärfung der Situation ist zu rechnen, weil 23 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Branche 55 Jahre oder älter sind. Sie werden auf absehbare Zeit das Rentenalter erreichen und aus dem Berufsleben ausscheiden.

Daher ist es wichtig, geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Möglich wäre beispielsweise, Helfer in der Metallbearbeitung gezielt zu Fachkräften zu qualifizieren. Sie könnten zumindest einen Teil der besonders gesuchten Fachkräfte unterstützen.

Zudem bietet eine Erhöhung der Frauenerwerbstätigkeit zumindest die Chance auf eine mittelfristige Milderung der Fachkräftelücke. Frauen sind derzeit in vielen Engpassberufen der Halbleiterindustrie noch unterrepräsentiert.

Eine weitere Möglichkeit, den Anstieg der Fachkräftelücke in der Halbleiterindustrie zu mildern, ist das Schaffen von Anreizen für ältere Mitarbeiter, länger im Beruf zu bleiben. Doch dafür müssten bestehende Hürden wie zum Beispiel Arbeitsverträge, die automatisch mit dem Erreichen des Rentenalters enden, aus dem Weg geräumt werden.

All das wird nach Ansicht der Autoren des IW Köln nicht genügen. Es ist also nicht möglich, die wachsende Fachkräftelücke rein mit inländischem Personal zu schließen. Weitere Anreize und Erleichterungen für ausländische Fachkräfte sind demnach erforderlich. Einen ersten Schritt kann das reformierte Fachkräfteeinwanderungsgesetz bilden. Auch das strikte Vorantreiben der Digitalisierung für Verwaltungsprozesse kann dazu einen Beitrag leisten.

Dr. Hans-Peter Luippold

Autor: Dr. Hans-Peter Luippold

Dr. Hans-Peter Luippold studierte Betriebswirtschaft in Freiburg und Köln und sammelte als Führungskraft bei Daimler, Volkswagen, Lufthansa, Wella und Vorwerk Erfahrungen in allen wesentlichen Unternehmensbereichen. Seit April 2000 ist er als Unternehmens- und Personalberater in Frankfurt am Main tätig. Er hält regelmäßig Vorträge und lehrt zu den Themen Erfolg und Karriere. Vernetzen Sie sich mit ihm über Xing und LinkedIn.