Proximity Bias beschreibt die unbewusste Bevorzugung von Mitarbeitern, die physisch im Büro präsent sind, gegenüber ihren Kollegen, die remote arbeiten. Doch ist diese Voreingenommenheit gerechtfertigt? Verschiedene Studien zeigen, dass Remote-Mitarbeiter sogar produktiver sind. Warum werden Mitarbeiter im Homeoffice dann trotzdem oft übersehen und bei Beförderungen benachteiligt? Wir zeigen die versteckten Mechanismen des Proximity Bias und seine weitreichenden Folgen für Unternehmen und Mitarbeitende. Erfahre, wie Proximity Bias Diversität und Inklusion gefährdet und welche konkreten Schritte Mitarbeiter, Unternehmen und Führungskräfte unternehmen können, um ihm entgegenzuwirken.
Definition des Proximity Bias
Proximity Bias beschreibt die Tendenz von Menschen in Machtpositionen, Mitarbeiter, die ihnen physisch näher sind, zu bevorzugen. Eine mögliche Übersetzung von Proximity Bias ist "Urteilsverzerrung aufgrund von Nähe bzw. fehlender Nähe". Diese basiert oft auf der veralteten Annahme, dass Mitarbeiter, die im Büro präsent sind, auch produktiver und engagierter sind. Proximity Bias kann sich unbewusst in der Bevorzugung von Mitarbeitern im Büro gegenüber Remote-Mitarbeitern zeigen, z.B. bei Leistungsbewertungen, Projektverteilungen und Beförderungen.
Obwohl sich der Proximity Bias auch auf Mitarbeiter im Büro auswirken kann - etwa auf solche, die an einem anderen Standort tätig sind als ihr Vorgesetzter - sind vor allem Remote Mitarbeiter und solche im Homeoffice davon betroffen.
Beispiele, wie sich Proximity Bias zeigen kann
Es gibt viele verschiedene Erscheinungsformen von Proximity Bias. Je nach Unternehmen und Situation sind auch Mischformen möglich.
Ungleiche Aufgabenverteilung
Manager weisen Mitarbeitenden im Büro eher anspruchsvolle oder prestigeträchtige Projekte zu, da sie fälschlicherweise annehmen, dass diese engagierter oder fähiger sind als Remote-Mitarbeiter. Das kann die Karriereentwicklung von Remote-Mitarbeitern behindern, da sie weniger Möglichkeiten haben, ihr Können unter Beweis zu stellen.
Verzerrte Leistungsbeurteilungen
Mitarbeiter im Büro erhalten möglicherweise bessere Leistungsbeurteilungen, weil sie sichtbarer sind und häufiger mit ihren Vorgesetzten interagieren. Die Leistungen von Remote-Mitarbeitern werden hingegen oftmals weniger gewürdigt, da ihre Arbeit weniger präsent ist. Laut einer Umfrage der Society for Human Resource Management (SHRM) gaben zwei Drittel der Vorgesetzten von Remote-Mitarbeitern an, dass sie diese Mitarbeiter für leichter ersetzbar halten als ihre Kollegen im Büro. 42 Prozent der befragten Manager gaben sogar zu, dass sie Remote-Mitarbeiter bei der Aufgabenverteilung manchmal vergessen.
Bevorzugung bei Beförderungen und Weiterbildung
Mitarbeiter, die physisch näher bei ihren Vorgesetzten sind, haben oft bessere Chancen auf Beförderungen. Diese Bevorzugung wird durch die Ergebnisse einer SHRM-Umfrage gestützt, die zeigt, dass Remote-Mitarbeiter seltener befördert werden als ihre Kollegen im Büro, obwohl sie durchschnittlich um 15 Prozent produktiver sind.
Büroangestellte erhalten oft auch mehr Möglichkeiten zur beruflichen Weiterentwicklung wie z.B. Schulungen oder Konferenzen.
Ausschluss von informeller Kommunikation und Entscheidungsfindung
Entscheidungen werden häufig informell in persönlichen Gesprächen getroffen, wodurch Remote-Mitarbeiter von wichtigen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen werden. Das kann zu einem Gefühl der Ausgrenzung und mangelnder Einbindung führen.
Technische Herausforderungen in hybriden Meetings
In hybriden Meetings haben Remote-Teilnehmer oft mit technischen Problemen zu kämpfen und es fällt ihnen schwerer, ihre Ideen einzubringen.
Unterschiedliche Zeitzonen
Unterschiedliche Zeitzonen können zu Benachteiligungen für Remote-Mitarbeiter führen. So können Meetings etwa zu Zeiten stattfinden, die für Remote Mitarbeiter in anderen Zeitzonen ungünstig sind, was ihre Teilnahme erschwert.
Proximity Bias und DEI
Proximity Bias steht in direktem Widerspruch zu den Zielen von Diversität, Gleichberechtigung und Inklusion (Diversity, Equity, Inclusion, kurz DEI). Proximity Bias kann bestehende Ungleichheiten verschärfen und die Bemühungen von Unternehmen zur Förderung von DEI untergraben.
Angehörige unterrepräsentierter Gruppen wie z.B. People of Colour oder Frauen haben nach aktuellen Untersuchungen oftmals ein stärkeres Bedürfnis nach flexiblen Arbeitsmodellen einschließlich Remote-Arbeit. Dies liegt daran, dass sie im Büro häufiger Diskriminierung und Mikroaggressionen ausgesetzt sind und Remote-Arbeit ihnen mehr Sicherheit und Kontrolle über ihre Arbeitsumgebung bietet. Wenn Unternehmen jedoch aufgrund von Proximity Bias Remote-Mitarbeiter benachteiligen, werden diese Gruppen erneut benachteiligt, und die bestehenden Ungleichheiten werden verstärkt.
Proximity Bias führt zu einer Kultur der Ungleichheit, in der Mitarbeiter nicht aufgrund ihrer Leistung, sondern aufgrund ihrer physischen Präsenz beurteilt werden. Das kann dazu führen, dass sich Remote-Mitarbeiter abgewertet und demotiviert fühlen, was sich negativ auf die gesamte Unternehmenskultur auswirkt.
Wie sollten Mitarbeiter mit Proximity Bias umgehen?
Mitarbeiter, die aufgrund ihrer Tätigkeit im Homeoffice oder an einem anderen Standort befürchten, vom Proximity Bias betroffen zu sein, können dem auf verschiedene Weisen entgegenwirken. Es geht vor allem darum, die eigene Sichtbarkeit zu erhöhen und die erreichten Leistungen und Ergebnisse zu dokumentieren.
Proaktive Kommunikation und Beziehungsaufbau
Die regelmäßige Kommunikation mit dem Vorgesetzten schafft Vertrauen. Regelmäßige Meetings mit dem Vorgesetzten können zum Beispiel dazu genutzt werden, über eigene Fortschritte, Herausforderungen und Ziele zu sprechen. Mitarbeiter sollten ihren Vorgesetzten über ihre Bedürfnisse und Erwartungen informieren, z.B. hinsichtlich flexibler Arbeitszeiten oder gewünschter Aufgaben.
Mitarbeiter sollten außerdem sicherstellen, dass ihre Leistungen und Beiträge für ihren Vorgesetzten und das Team sichtbar sind. Dazu gehören regelmäßige Updates über die eigenen Projekte und Erfolge. Auch Remote Mitarbeiter haben hier viele Möglichkeiten - zum Beispiel im Team-Meeting, in Chatgruppen oder einfach per Mail.
Die aktive Teilnahme an Meetings hilft dabei, die eigenen Ideen und Perspektiven einzubringen - auch remote. Virtuelle Teamevents sollten ebenfalls genutzt werden. Virtuelle Kaffeepausen und der Einsatz verfügbarer Tools wie MS Project oder Zoom sind gut dazu geeignet, um mit Kollegen in Kontakt zu bleiben.
Steigerung der eigenen Sichtbarkeit
Wer sich um Aufgaben bemüht, welche die Fähigkeiten und Kompetenzen hervorheben und einen positiven Einfluss auf das Unternehmen haben, kann damit die eigene Sichtbarkeit deutlich erhöhen - selbst bei Remote Work. Dazu gehören zum Beispiel Präsentationen oder Veröffentlichungen, die auch virtuell sein können.
Die Teilnahme an relevanten Netzwerken und Communities trägt zusätzlich zur Sichtbarkeit im Unternehmen bei.
Ein Mentor kann betroffenen oder gefährdeten Mitarbeitern wertvolle Ratschläge geben und dabei helfen, die eigene Sichtbarkeit im Unternehmen zu erhöhen.
Benachteiligungen offen ansprechen
Insbesondere Mitarbeiter, die nicht täglich im Büro und in der Nähe ihrer Führungskraft sind, sollten sich rechtzeitig Gehör verschaffen, wenn sie sich benachteiligt fühlen. Wer sich aufgrund einer Remote-Arbeitssituation ungerecht behandelt oder bewertet fühlt, sollte seine Führungskraft ansprechen. Mitarbeiter sollten darauf achten, Belege für die genannten Probleme vorlegen zu können.
Eigene Vorschläge und Ideen zur Förderung der fairen und inklusiven Zusammenarbeit im Team, die von den Mitarbeitern eingebracht werden, bieten die Chance, noch besser wahrgenommen zu werden.
Wie können Führungskräfte Proximity Bias vermeiden?
Insbesondere Führungskräfte tragen eine große Verantwortung für die Vermeidung von Proximity Bias und die gerechte und faire Behandlung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unabhängig vom Arbeitsumfeld und vom Arbeitsplatz.
Hier kommt es darauf an, sich eines möglichen Proximity Bias bewusst zu sein und dem durch offene Kommunikation und Förderung der Zusammenarbeit entgegenzuwirken.
Führungskräfte und Mitarbeiter sollten über Proximity Bias und seine Auswirkungen geschult werden. Plattformen, auf denen Mitarbeiter ihre Erfahrungen mit Proximity Bias teilen und gemeinsam Lösungen entwickeln können, können unterstützend eingesetzt werden.
Regelmäßige, strukturierte Check-ins und Feedbackgespräche der Führungskraft mit allen Mitarbeitern stellen die Wertschätzung und Sichtbarkeit aller Mitarbeiter sicher, so dass niemand vergessen wird.
Auch innerhalb von Meetings müssen die gleichen Teilnahmebedingungen für alle gelten: Wenn mindestens eine Person remote arbeitet, sollten alle Teilnehmer per Videokonferenz zugeschaltet sein.
Virtuelle Teamevents und soziale Aktivitäten fördern den Zusammenhalt und die Kommunikation im Team. Führungskräfte sollten sicherstellen, dass solche Treffen organisiert werden und auch tatsächlich stattfinden. Dabei sollten auch diejenigen die Möglichkeit zur Teilnahme haben, die zum Beispiel aufgrund ihres Wohnorts nicht physisch dabei sein können.
Unternehmenskultur gegen Proximity Bias
Die Basis für eine faire und gerechte Behandlung aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist eine entsprechende Unternehmens- und Arbeitskultur. Mit ihr lässt sich auch die Wahrscheinlichkeit des Proximity Bias deutlich senken. Eine Remote-First-Kultur, in der Remote-Arbeit als gleichwertige Arbeitsform angesehen wird, ist dabei ein wichtiges Element.
Notwendig sind klare Richtlinien für hybride Teams, die sicherstellen, dass alle Mitarbeiter fair behandelt werden, sowie Regelungen und Prozesse für Beförderungen, die Chancengleichheit für alle Mitarbeiter gewährleisten. Eine moderne Unternehmenskultur fördert Systeme, um die Leistungen und Beiträge aller Mitarbeiter transparent zu dokumentieren, unabhängig von ihrem Arbeitsort.
Führungskräfte sollten regelmäßig im Umgang mit unbewussten Vorurteilen einschließlich Proximity Bias geschult werden.
Im Unternehmen sollte stets dafür gesorgt sein, dass alle Mitarbeiter über die notwendige Technologie und Ausstattung verfügen, um effektiv remote arbeiten zu können. Asynchrone Kommunikationsmittel wie E-Mail, Chat-Tools oder Projektmanagement-Software sorgen dafür, dass alle Mitarbeiter den gleichen Zugang zu Informationen erhalten.
Ausblick
Der Proximity Bias ist ein wachsendes Problem in der modernen Arbeitswelt, das durch die zunehmende Verbreitung von Remote- und Hybridarbeit verschärft wird.
Unternehmen, die hybride Arbeitsmodelle erfolgreich umsetzen wollen, müssen proaktiv Strategien entwickeln, um diesem Bias entgegenzuwirken. Dies erfordert ein klares Bekenntnis zu DEI, die Implementierung fairer Prozesse, die Förderung einer inklusiven Kultur und die Investition in die richtigen Technologien. Nur so können Unternehmen sicherstellen, dass alle Mitarbeiter die gleichen Chancen haben, unabhängig von ihrem Arbeitsort.
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können selbst einiges zur Vermeidung eines Proximity Bias beitragen. Hierbei ist es vor allem wichtig, für die eigene Sichtbarkeit zu sorgen, eigene Leistungen zu dokumentieren und Probleme frühzeitig gegenüber ihrer Führungskraft anzusprechen.